"Sweet Little Girl" geb. 2011
Hannoveraner Stute von Swarovski
Sweet Little Girl kam vierjährig direkt vom Züchter in unsere Familie. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits angeritten. „Little“ hatte noch nicht viel Erfahrungen, war aber aufgeschlossen und mutig, angefangen von Bodenarbeit und Verladetraining bis zum Reiten. Sie machte alles mit.
Mit viel Geduld und regelmäßigem Unterricht trainierten wir und machten zunächst auch Fortschritte. Wann genau dieser Punkt kam, an dem sich der vermeintliche Fortschritt in Festfahren mutierte, „Little“ zunächst zaghaft, dann immer deutlicher Widerstand signalisierte, kann ich heute nicht mehr genau sagen. Vermutlich war es ohnehin ein Prozess, in dem ich die ersten Signale nicht bemerkt oder aber als solche nicht erkannt hatte.
„Little“ hatte Probleme in ihrer Balance. Die Lektionen, die sie erlernt hatte, wurden zunehmend zum Selbstzweck. Sie ließ sich auf der linken Hand nur unter massivem äußeren Schenkel- und Zügeleinsatz abwenden, während sie auf der rechten Hand durch den Schenkel gestützt werden musste. Als sie auf den Schenkel nicht mehr reagierte, mussten Sporen unterstützen. Sie wurde zunehmend „kopflastig“ und suchte Stütze in der Hand. Nahm man ihr diese, machte sie ihren Hals kurz. Im Galopp gab sie dem Reiter das Gefühl, sie würde sich „eingraben“ und unter ihm wegtauchen. Oder sie wollte überhaupt nicht angaloppieren, wenn ihr das Tempo genommen wurde. Die Versuche, sie mit Hilfen wie „äußerer Zügel, innerer Schenkel“, Übergängen und Seitengängen mehr auf die Hinterhand zu bringen, wurden mehr und mehr zum täglichen Kampf. „Little“ verspannte sich und verwarf sich im Genick. Der Chiropraktiker diagnostizierte einen „hohen Muskeltonus“ und Blockaden. Sie war beim Reiten nicht nur widersetzlich, sondern auch guckig und schreckhaft. Wenn „Little“ beim Springen nicht mit genügend Tempo an das Hindernis kam und aus der Kraft absetzen musste oder sich übersprang, klebte sie bei der Landung mit ihren Vorderbeinen am Boden und fing nicht selten an zu bocken. Das war im Frühjahr 2018. „Little“ war zu diesem Zeitpunkt siebenjährig.
Wuchsen im Laufe der Zeit die Zweifel, war mir spätestens jetzt klar, dass wir uns auf dem Irrweg befanden, als ich den Tipp bekam, „Little“ doch einfach mal kräftig „Bescheid zu geben“.
Doch „Little“ musste weder gestraft, noch mehr unter Druck gesetzt werden. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich Zweifel, dass sie nicht einfach nur bockig war, sondern ihre Widerstände andere Ursachen haben mussten. Ich musste nur den richtigen Weg finden, ihr zu helfen. Und um diesen zu finden, musste ich ihr einfach nur zuhören. Und dann die richtigen Antworten geben.
Im Mai 2018 kam „Little“ zu Jessica Maas. Mit ihrer Unterstützung und ihrem Beritt lernte „Little“ zunächst an der Longe, später unter dem Sattel, ihre Balance wiederzuentdecken. Stück für Stück arbeiteten wir gemeinsam an ihrer Schiefe, die sie so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
Dass ich diesen Weg eingeschlagen habe, habe ich nicht bereut. Die Sporen sind eingemottet, alle sogenannten Hilfszügel verbannt. Sicher, es dauert seine Zeit. Schnelle vermeintliche „Erfolge“ lassen sich nicht gewinnen. Dieser Weg erlaubt keine Shortcuts, keine Schummelei und kein Kaschieren. Dafür ist er nachhaltig, ein reelles Fundament.
Heute, im November 2021 hat „Little“ gelernt, ihren Kopf selber zu tragen. Sie ist leicht in der Hand, lässt sich rechts wie links in Innen- wie in Konterstellung reiten und abwenden. Sie reagiert auf feinste Gewichtshilfen. Sie braucht keine Schenkelstütze mehr. Lektionen sind ausschließlich dafür da, sie in ihrer Balance und ihrer relativen Aufrichtung noch mehr zu fördern.
Sie ist nicht nur physisch im Gleichgewicht, sondern auch mental. Ihre Schreckhaftigkeit ist quasi verschwunden. Mittlerweile höre ich, was sie mir sagt, selbst wenn sie flüstert. Und ich fühle, welche Antwort die Richtige ist. Zugegeben, die richtige Antwort dann auch so zu geben, dass sie mich versteht, gelingt mir nicht immer, aber immer öfter. An der dafür nötigen körperlichen Disziplin und Feinmotorik arbeite ich weiter. Wie gut, dass „Little“ so viel Geduld mit mir hat.
Es ist eben ein Prozess des gemeinsamen Wachsens. Und das werden wir auf diesem Weg auch weiter tun – ohne Zweifel.